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Interview

Nicole Jäger über häusliche Gewalt: „Es gibt keine typischen Opfer."

Nicole Jäger

Nicole Jäger ist als Kabarettistin und Autorin vor allem für ihre humorvolle Art bekannt. Doch im desired-Podcast sprechen wir mit ihr aber über ein sehr ernstes Thema: Denn Nicole wurde Opfer häuslicher Gewalt und hat in ihrem neuen Buch „Unkaputtbar“ und in ihrer desired-Kolumne „Du bist viele“ über ihre Erfahrungen geschrieben. Im Interview spricht sie darüber, warum häusliche Gewalt mehr Frauen betrifft als wir denken, darüber dass es keine typischen Opfer gibt und warum es so schwer fällt, sich aus einer toxischen Beziehung zu lösen.

Dies ist eine gekürzte Version des Interviews. Das ganze Interview kannst du dir in der aktuellen Folge von „desired – der Podcast“ anhören.

desired: Häusliche Gewalt ist für viele noch ein Tabu-Thema. Ist es dir schwer gefallen, selbst dabei so offen zu sein und auch von deinen eigenen Erfahrungen zu berichten?

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Nicole Jäger: Ich glaube über private Themen zu sprechen ist generell nicht immer einfach. Aber in dem Fall war es mir sehr wichtig. Und ich merke auch an der Resonanz, dass das Interesse am Thema „häusliche Gewalt“ sehr stark ist, weil wir darüber bisher hauptsächlich schweigen. Wir wissen über häusliche Gewalt relativ wenig, weil sie hinter verschlossenen Türen passiert, weil Opfer sich sehr häufig nicht mitteilen können und Täter sich natürlich sowieso nicht äußern wollen. Deshalb gibt es auch sehr viele Missverständnisse und falsche Annahmen zu dem Thema, dabei ist es ein wahnsinnig weit verbreitetes Phänomen. Eine von vier Frauen wird einmal in ihrem Leben mindestens Opfer von häuslicher Gewalt und Gewalt an Frauen in Beziehungen ist nach wie vor weltweit das am häufigsten verletzte Menschenrecht. Trotzdem kommt es einem so vor, als sei das etwas, das nur in sozialen Brennpunkten ab und an mal vereinzelten Frauen passiert.

Deshalb ist dieses Thema so wichtig. Für mich war es natürlich schwer über darüber zu sprechen, weil es ein hoch emotionales Thema ist, das auch stark mit Scham und Angst verknüpft ist. Das Schreiben war noch schwieriger. Denn da sitzt man auf seinem Sofa und hat sehr viel Zeit darüber nachzudenken und bis ins Kleinste emotional zu berichten. Das war auf der einen Seite sehr kathartisch, auf der anderen manchmal sehr tränenreich.

Hier findest du den ersten Teil von Nicoles Kolumne für desired:

Du sagst, es gibt viele falsche Annahmen über häusliche Gewalt. Eine der häufigsten ist wahrscheinlich, dass es ein „typisches Opfer“ gibt, dem man sein Leiden auch sofort ansieht.

Ich bin selbst auch mit diesem Bild aufgewachsen: Zurückgezogene Frauen, sozial schwach, am besten noch mit einem Alkoholproblem und das Ganze passiert in irgendeinem Hinterhof. Das ist natürlich ein Problem, dass man so denkt. Denn erst mal denken alle Opfer: Das passiert mir nicht, weil natürlich die wenigsten diesem Klischeebild entsprechen. Aber man muss über häusliche Gewalt wissen, dass es eben kein typisches Opfer gibt. Die einzige Sache, die fast alle Opfer gemeinsam haben, genauer gesagt etwa 94 bis 97 Prozent aller Opfer ist die: Sie sind Frauen. Das ist oft das Einzige, was sie gemeinsam haben. Es sind alle Berufe dabei, alle sozialen Schichten, jede Wohngegend, jede Religion jede Form von Background. Es kann jede treffen. Sozial gut gestellt, oder wie in meinem Fall erfolgreich zu sein, schützt einen nicht. Mit diesen Vorurteilen soll auch „Unkaputtbar“ aufräumen. Denn genau diese Denkweisen sorgen auch dafür, dass Opfer viel zu lange in einer solchen Beziehung bleiben. Weil von außen natürlich niemand etwas ahnt und auch die Opfer selbst viel zu spät merken, dass da etwas passiert, was ihnen nicht guttut.

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Für viele Opfer macht es das wahrscheinlich auch noch schwerer, ihre Probleme anzusprechen, weil sie glauben, selbst etwas falsch gemacht zu haben, um in diese Situation geraten zu sein. Wie war das bei dir?

Zunächst einmal ist es wichtig zu verstehen, dass wir häufig ein falsches beziehungsweise unvollständiges Bild von häuslicher Gewalt haben. Wenn wir den Begriff hören, denken wir automatisch an einen Mann, der seine Frau schlägt und an körperliche Gewalt. Dabei ist die psychische Gewalt, die von den Tätern ausgeht der viel größere Faktor. Körperliche Gewalt kann natürlich auch ein Teil der Gewalterfahrung sein, psychische Gewalt ist aber deutlich häufiger und kommt in allen Fällen vor. Und sie ist es, die das Opfer so lähmt und dafür sorgt, dass man sich nicht mitteilt. Auch ich stand nicht über Nacht in einer solchen Beziehung. Gewalt in Beziehungen läuft in Stufen, es ist ein schleichender Prozess. Und der beginnt nicht mit Gewalt, sondern mit der ganz, ganz großen Liebe. Doch dann kippt es irgendwann. Doch dann ist man so weit drin, dass man sich nicht mal eben so mitteilen kann, genauso wenig, wie man sich mal eben so trennen kann. Sich wirklich mitzuteilen ist am Ende die Lösung und der Weg raus.

Du hast das Gefühl, dich auf den Falschen einzulassen. Im Video zeigen wir dir Warnsignale, die du auf jeden Fall beachten solltest:

8 Warnsignale, die du beim Daten nicht ignorieren solltest
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Es gibt keine „typischen Opfer“, gibt es denn „typische Täter“ beziehungsweise Warnzeichen, auf die man achten kann?

Man sieht es den Tätern natürlich nicht an. Dann würde diese Menschen auch niemand daten. Es sind meist sympathische Typen. Allerdings bringen die meisten Täter ähnliche Charaktereigenschaften mit, weshalb die Beziehungen immer in denselben Stufen verlaufen. Täter bringen häufig narzisstische Tendenzen mit, aber auch die sieht man natürlich oft erst im Nachhinein. Das erste Warnzeichen, das man aber eigentlich gar nicht sehen kann, ist, dass alles ein wenig zu perfekt ist. Er liebt einen ein wenig zu hart, vergöttert einen ein bisschen zu sehr und man hat das Gefühl, in einem Disneyfilm zu sein. Dass das ganze „zu viel“ ist, sieht man natürlich erst retrospektiv. Irgendwann kippt das dann jedoch und der Partner versucht einem unterschwellig klar zu machen: Ich bin nicht mehr so richtig glücklich und das liegt an dir. Alles was am Opfer so toll war, ist plötzlich ein Problem. Der Job, die Freunde, das Hobby, wie man sich anzieht. Das nimmt im Laufe der Zeit ganz langsam zu und lässt sich nur sehr schwer greifen. Psychische Gewalt ist sehr diffus und perfide und am Anfang nicht als solche auszumachen.

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Der Täter beginnt irgendwann mit einem Phänomen, das sich Gaslighting nennt. Dabei versucht er, das Opfer in seinem Selbstbild zu destabilisieren. Es kommt zu einer Täter-Opfer-Umkehr. Der Täter redet dem Opfer ein, schuld an den Problemen in der Beziehung und ein schlechter Mensch zu sein. Alles könnte besser sein, wenn man sich selbst nur anders verhält. Der Täter spielt auch darauf an, wie toll es früher zwischen einem lief und gibt dem Opfer das Gefühl, es müsse nur machen, was er sagt, damit es wieder so wird. Und weil man weiß, wie toll es sein konnte und weil man natürlich auch sein eigenes Handeln hinterfragt, glaubt man, dass es wirklich an einem selbst liegt. Und sobald dieser Punkt eintritt, beginnt die Gewaltspirale.

Die ganze Podcast-Folge kannst du dir zum Beispiel hier bei Spotify anhören:

Bildquelle: Nicole Jäger

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