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Randerscheinung?

Wir haben 4 Frauen aus der Gamingszene befragt

Deutscher Computerspielpreis

Anlässlich zur Verleihung des diesjährigen Deutschen Computerspielpreises – über den ihr mehr von unseren Kollegen von Giga, Spieletipps und Gamona erfahren könnt – haben wir uns den Frauen in der Gamingszene zugewandt. Sind weibliche Let's Player auf Youtube und Frauen, die Spiele entwickeln, nach wie vor eine Seltenheit oder hat sich in den letzten Jahren etwas bewegt? Und wie werden Frauen in der Szene eigentlich von ihren männlichen Kollegen behandelt? Darüber haben wir mit den Let's Playerinnen Pandorya (Tatjana Werth) und Honigball (Isabel Zimmermann) sowie den Spiele-Entwicklerinnen Jana Reinhardt und Lea Schönfelder diskutiert.

Viele Spiele werden von Frauen entwickelt: Im Indie-Spiel Solitune spielst du eine Schäferin.

Sind Frauen in der Gamingszene unterrepräsentiert?

Lange Zeit fand man unter den bekannten Namen in der Gamingszene – seien es Spieleentwickler, Gamedesigner oder Let's Player – fast nur Männer. Nach wie vor existiert das Klischee von einer männerdominierten Nerd-Gemeinschaft, zu der junge Mädchen und Frauen nur schwer Zugang finden. Doch vielleicht handelt es sich dabei auch um eine falsche Einschätzung. Denn mittlerweile gibt es auch in Deutschland zahlreiche aktive Gamerinnen, wie etwa Isabel Zimmermann, besser bekannt unter ihrem Youtube-Namen Honigball. Isabels Urteil fällt deutlich positiver aus als erwartet:

„Frauen sind gleichwertig in der Szene. Es gibt aktuell nur nicht so viele Unterhalterinnen in der Szene, diese müssen erst nachwachsen. Videospiele sind seit zehn Jahren erst 'cool' genug für den Pausenhof, davor wurde man dafür noch gehänselt. Und vor zehn Jahren wurden sie als reine Produkte 'für Jungs' beworben.“

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Dass sich tendenziell immer noch mehr Jungs als Mädchen schon im Kindesalter für Computerspiele interessieren, liegt Isabel zufolge also eher an der Bewerbung von Spielen, aber auch ganz klar an der Erziehung und den Medien:

Deutscher Computerspielpreis 2017
Isabel Zimmermann aka Honigball gehört zu den erfolgreichsten deutschen Letsplayerinnen.

„Es sind gerade Magazine, Programme, Webseiten und Medien 'für Frauen', die selber in der Lage sind, mit Klischees zu brechen und zu vermitteln, dass es völlig normal ist, als Frau zum Beispiel auf Wrestling zu stehen. Was als 'normal' gelehrt und vermittelt wird, wird als interessant betrachtet. Solange man Mädchen weiterhin nur mit Kitsch füttert und ihnen gar nichts anderes als 'normal' präsentiert, werden sie sich auch nur dafür interessieren.“

Auch für die Let's Playerin Tatjana Werth, auf Youtube bekannt als Pandorya, sind Frauen in der Gamingszene schon lange keine Randerscheinung mehr:

„Gaming ist bei Mädchen schon lange angekommen. Es wird in den Medien seltsamerweise immer noch so dargestellt, als wäre es etwas Besonderes, wenn Mädchen Computerspiele spielen. Viel spannender ist tatsächlich, warum sich Mädels neben den Sims vor allem für Horrorspiele interessieren.“

Doch wie sieht es auf der Seite der Spieleentwickler aus? Wer steckt eigentlich hinter erfolgreichen Spielen und bestimmt, wie die Charaktere gestaltet werden? Laut Jana Reinhardt, Spieleentwicklerin und Gewinnerin des Deutschen Computerspielpreises 2015 sieht die derzeitige Lage eigentlich ganz gut aus:

„Einzig Programmiererinnen gibt es immer noch zu wenige. Da hoffe ich, dass Initiativen wie Code Girls oder Programmierworkshops für Mädchen noch ein wenig dafür sorgen, dass es normaler für Mädchen wird, sich für das Thema zu interessieren.“

Jana stellt jedoch infrage, ob derzeit tatsächlich eine positive Entwicklung vonstattengeht:

„Gesellschaftlich habe ich manchmal das Gefühl, dass gerade eine Rolle rückwärts passiert, mit dieser Rosa-Blau-Einteilung. Zumindest sehe ich die pinken Prinzessinnen eher selten programmieren, forschen oder experimentieren. Wer mit solchen Stereotypen aufwächst, wird vermutlich weniger Bock haben, später Informatik zu studieren. Oder schnell an sich zweifeln, weil 'Frauen ja schlecht in Mathe sind, hihi'.“

Haben es Frauen in der Szene schwer?

Frauen in der Gamingszene
Tatjana Werth aka Pandorya hat noch keine schlechten Erfahrungen gemacht.

Die Außeneinschätzung der Gamingszene durch die Medien ist eine Sache. Doch welche Erfahrungen machen Frauen mit ihren männlichen Kollegen eigentlich innerhalb der Szene? Tatjana, die aus einer wahren Gamer-Familie kommt, kann eigentlich nur Positives berichten:

„Ich persönlich habe noch gar keine schlechten Erfahrungen gemacht, der einzige Unterschied besteht eigentlich immer nur in den negativen Kommentaren. Da steht bei mir weniger 'Hurensohn', dafür gibt es dann aber andere, kreative Ausdüstungen zu lesen.“

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Fragt man Isabel, ist es eben so, wie überall in der Gesellschaft:

„Geschlecht spielt in jeder Szene eine Rolle. Es gibt überall Frauen wie Männer, die in sexistischen Denkweisen feststecken. So auch in der Gamingszene. Praktisch ist nur, dass man diese natürlich nicht in seiner Community hat. Ein Sexist guckt sich die Let's Plays einer Person, die für Gleichstellung ist, natürlich nicht an. Somit wächst eine Community, deren Werte auf Nächstenliebe und Gleichstellung basieren. Leider gibt es auch Menschen mit großer Reichweite, deren Wertesystem Gruppendenken beinhaltet und Herabwürdigung aufgrund von Andersartigkeit rechtfertigt.“

Auch Jana zufolge gibt es Unterschiede innerhalb der Szene, die sich einfach nicht über einen Kamm scheren lasse:

„In der Indie-Szene ist Sexismus weniger verbreitet, weil die Leute sich um das Thema Gender, Identität und Feminismus wirklich viele Gedanken machen und da von Anfang an schon immer mehr (auch Trans-) Frauen am Start waren. Siehe zum Beispiel das 'A MAZE.'-Festival in Berlin, bei dem es seit vielen Jahren Safe Space Policies gibt und sich die Programmmacher selbst eine annähernde Frauenquote für Talks vornehmen oder generell mehr Diversität in der Herkunft und Background der Redner zur Aufgabe gemacht haben. Je weniger Diversität dagegen bei einem Event oder innerhalb einer Firma herrscht, desto weniger überdenken die Leute dort dümmliche Klischees.“

Beschäftigt man sich mit der Gamesindustrie hinter den Kulissen, geht es dort scheinbar ähnlich zu wie in anderen männerdominierten Branchen:

„Männer untereinander wachsen unglaublich schnell zusammen. Diesen kumpelhaften, unbefangenen Status erreicht man als Frau nicht so einfach. Und das ist schon auch eine Hürde, wo man nicht so leicht anknüpfen kann. Gerade weil Frauen oft auch schüchterner sind. Und dann muss man sich eben eher durch die Qualität seiner Arbeit beweisen, statt durch gut getimte Gags.“

Eine Eigenschaft, die Jana natürlich bedauert, da selbst gestandene Frauen in der Gamesbranche aus Zurückhaltung noch zu selten Eigeninitiative zeigen würden, wenn es zum Beispiel darum geht, Vorträge auf wichtigen Konferenzen zu halten.

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Zwischen Quotenfrauen und Normalität

Lea Schönfelder möchte, dass mehr über ihre eigentliche Arbeit geredet wird.

Auf der einen Seite können Gamerinnen das übertriebene Zelebrieren von Frauen in der Szene nicht mehr hören, während unter den Spieleentwicklern noch ein deutlicher Frauenmangel herrscht. Als Spiele-Entwicklerin steht man so ungewollt oft stellvertretend für alle Frauen in der Branche, wie uns die Game-Designerin Lea Schönfelder erzählt:

„Es gibt zur Zeit viele 'Women in Games'-Veranstaltungen, zu denen ich eingeladen werde. Diese Veranstaltungen sind einerseits wichtig und ich gebe mich auch gerne als Beispiel her um zu zeigen, dass es sie gibt, die weiblichen Game-Designerinnen. Allerdings möchte ich dort dann nicht davon berichten, wie es so ist, als Frau ein Spiel zu machen. Auf einer Konferenz erzähle von meiner Arbeit, denn in erster Linie bin ich ja Game-Designerin.“

Auch Jana fühlt sich oft als Quotenfrau behandelt – nicht zuletzt durch unser Interview:

„Ich finde das Thema 'Frauen in der Spieleindustrie' zwar immer noch wichtig, würde mir aber wünschen, dass eher die Arbeit der Frauen in den Vordergrund rückt. Statt sie über Frauenthemen reden zu lassen, was wiederum meist nur Frauen interessiert. Die Diskussion war nötig und hat viel verändert in den letzten Jahren. Aber wenn man nicht sieht, was Frauen eigentlich entwickeln, dann sind sie auch nicht präsent.
Ob ich oft Quotenfrau bin? Ja und nein. Ich habe die ersten Jahre bestimmt ein paar Interviews und einen Platz in einer Jury nur deshalb bekommen, weil es wichtig war, eine Frau dabei zu haben. Aber ich finde so eine Frauenquote trotzdem gut, denn anders brichst du das Muster nicht.“

I'm sorry Geralt. After 20 years I met my childhood crush again. pic.twitter.com/9KqFKlSEw1
— Jana Reinhardt (@RottenHedgehog) 3. März 2017
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Spiele von Frauen für Frauen?

Trotz anhaltender Klischees begeistern sich die meisten Gamerinnen nicht für kitschige Spiele, die speziell für Frauen vermarktet werden. Während es Tatjana vor allem Horrorspiele wie der Klassiker „Silent Hill 1“ angetan haben, entwickeln Jana und Lea ausgefallene Indie-Spiele. So kann man in Solitune, das Jana mit ihrem Partner Friedrich Hanisch entwickelt hat, eine Schäferin spielen, die ursprünglich als männliche Figur angedacht war:

„Die sollte eigentlich ein alter, mürrischer Schäfer mit Rauschebart werden. Bis ich bei einem Schäferwettbewerb eine Klasse voller Mädels kennengelernt habe und ich mich dann selbst gefragt habe, warum wir aus dem Schäfer nicht eine Schäferin machen.“

In Lea Schönfelders Kinect-Spiel „Perfect Woman“ setzt sich der Spieler sogar kritisch mit den gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen auseinander. Anhand von Tanzbewegungen kann man sich für verschiedene Lebenswege entscheiden und begreift so spielerisch, welch widersprüchliche Ansprüche heutzutage an Frauen gestellt werden:

„Im Falle von Perfect Woman entscheidet sich die Spielerin für einen bestimmten Lebensweg, der perfekt oder weniger perfekt sein kann. Das Spiel reagiert darauf, indem die Tanzperformance, die der Spielerin abverlangt wird, schwerer oder leichter ausfällt. In diesem Falle wird die Spielerin 'belohnt', wenn sie sich ein nicht so perfektes Leben aussucht, in dem die Tanzperformance dann einfacher wird.“

Perfect Woman will be out on Xbox One soon: dance and be perfect! @_kitchen @ID_Xbox pic.twitter.com/qKZTrsUaOq
— Lea Schönfelder (@LeaSchonfelder) 1. September 2016

Lea Schönfelder scheint mit „Perfect Woman“ den Weg für gesellschaftskritische Spiele geebnet zu haben, denn das Spiel hat, wie erhofft, Diskussionen ins Rollen gebracht:

„Seit wir das Spiel auf der Xbox One veröffentlicht haben bekommen wir auch viele kritische Kommentare von Gamern, die sehr überrascht scheinen, dass man mit 'ihrem Medium' auch Gesellschaftskritik üben kann. Für eine Kostprobe empfehle ich, die Kommentare unter dem offiziellen Xbox One Trailer auf You Tube zu lesen. Viele Kommentare beschäftigen sich beispielsweise damit, dass ein Kind des weißen Elternpaares im Trailer dunkelhäutig ist die einzig mögliche Erklärung hierfür scheint zu sein, dass die Mutter fremdgegangen ist. Auch wenn hier Kulturen aufeinanderstoßen – die progressive Indie-Szene und klassische Hardcore-Gamer – sind wir froh über den Diskurs, den wir durch unser Spiel provozieren konnten.“

EmpowHER: Unsere Themenreihe zu inspirierenden Frauen

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Es scheint also nach wie vor Redebedarf zum Thema Frauen in der Gamingszene zu geben. Allerdings würden wir uns natürlich auch wünschen, irgendwann nicht mehr über das leidige Thema Frauenquote und Gleichberechtigung diskutieren zu müssen und einfach nur in Ruhe spielen zu können. Wir bedanken uns bei Isabel, Tatjana, Jana und Lea für die interessanten Einblicke!

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Bildquellen: Tatjana Werth, Jana Reinhardt, Isabel Zimmermann, Lea Schönfelder